Dienstag, 26. Februar 2019

Ukraine: Maruv darf nicht zum ESC!

Da ist er ja endlich - der erste große Skandal um den ESC 2019. Maruv hat am Samstag mit ihrem Song "Siren Song" den ukrainischen Vorentscheid gewonnen, wird aber nicht beim ESC antreten. Warum? Das erfährst du hier.

In der Regel unterschreibt ein Sänger, wenn er für ein Land zum ESC fährt, vorher einen Vertrag mit der entsprechenden Rundfunkanstalt, in dem alle eventuell auftretenden Probleme gelöst sind. Maruv möchte den Vertrag vom ukrainischen Rundfunk UA:Perschyj aber nicht unterschreiben.

Aber fangen wir von vorne an. Jamala gewann 2016 den Eurovision Song Contest für die Ukraine mit einem Lied über ihre Großmutter, die 1944 von den Russen von der Krim aus verschleppt wurde. Es war schon immer umstritten, ob dieser Song politisch ist, oder nicht. Die EBU entschied dass er nicht politisch sei und damit zum ESC zugelassen ist. Wie auch immer, Jamala hat klar gestellt, dass sie nicht gut auf Russen zu sprechen ist.

Maruv, die bürgerlich übrigens Hanna Korsun heißt, hat vor allem in Russland Erfolg mit ihrer Musik. Sie hat aber klargestellt dass sie sich nur als Ukrainerin fühlt und auch nur für dieses Land beim ESC antreten würde. So habe sie nach eigenen Angaben aus drei Ländern das Angebot erhalten für das entsprechende Land zum ESC zu fahren, sie wollte aber lieber am ukrainischen Vorentscheid teilnehmen.

Jamala saß in der dreiköpfigen Jury von Vidbir 2019. Offensichtlich störte sie sich sehr daran, dass Maruv so intensive Verbindungen zu Russland hat. Schon im Halbfinale redete sie Maruv, wann immer es nur ging, so schlecht wie möglich. Im Finale trieb sie dies auf die Spitze mit einer Frage, die am vergangenen Supersamstag das Hauptthema der ESC-Bubble in den sozialen Netzwerken wurde. Am Besten machst du dir einfach selbst ein Bild davon:


Jamala hat allen Ernstes, auf eine sehr provokante Art, eine Sängerin, die einfach nur Musik für die Menschen machen möchte, gefragt ob die Krim zur Ukraine gehört. Das Ganze beim Vorentscheid für den ESC, einer Veranstaltung, die laut Regelwerk keinerlei politische Inhalte haben darf. Alleine schon die Aussage dass die Krim zur Ukraine gehört, ist im Rahmen jeder Veranstaltung um den ESC verboten. Es war nicht das einzige Mal dass die Show in der Ukraine politisch wurde. Deshalb berät sich jetzt die EBU über eine mögliche Disqualifikation der Ukraine beim ESC 2019, inklusive horrender Strafzahlung versteht sich. Doch das ist sogar nur ein kleines Nebenereignis dieser gesamten Thematik. Dass Jamala es sich durch diese Aktion mit sehr vielen Fans und Unterstützern verpaßt hat, ist erst recht nur einen Satz in diesem umfangreichen Artikel wert.

Nach dem Ende des Vorentscheides machte eine Meldung die große Runde durch die ESC-Bubble. UA:Perschyj fordert dass Maruv ihre Konzerte in Russland, innerhalb von 24 Stunden absagt und bis zum ESC auch keine anderen Auftritte in Russland wahrnehmen darf, sonst darf sie nicht beim ESC antreten. Maruv zeigte sich davon etwas erschlagen, doch wäre schlussendlich dazu bereit gewesen diesen Schritt zu gehen, obwohl sie mit dem Absagen dieser Konzerte, für eine ESC-Teilnahme für die Ukraine, ihre Karriere in Russland aufs Spiel setzen würde.

Es würde gemunkelt dass UA:Perschyj dies von ihr verlangt, weil sich der Rundfunk damit erhoffte sie nicht als Repräsentantin beim ESC zu haben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei auf Russland ebenso wenig gut zu sprechen wie Jamala. Ob diese Vermutungen tatsächlich der Wahrheit entsprechen weiß keiner, die Frage aus welchem rational sinnvollen Grund Maruv bis Mai nicht in Russland auftreten dürfen solle, bleibt aber unbeantwortet.

Nachdem ich zunächst nichts Weiteres darüber gehört hatte, dachte ich dass das Thema durch sei. Heute Morgen erreichte mich die Nachricht dass Maruv nicht zum ESC fahren wird. Nach umfangreicher Recherche weiß ich nun auch die genauen Hintergründe dazu und erläutere sie hier.

Der Vertrag den Maruv unterschreiben soll, enthält einige Forderungen, die für sie inakzeptabel sind. UA:Perschyj ist aber nicht bereit den Vertrag auch nur in einem einzigen Detail zu verändern und wird Maruv nicht als Repräsentantin für den ESC anmelden, sofern sie den Vertrag nicht unterschreibt und befolgt. Da die Rundfunkanstalt selbst, unabhängig von irgendwelchen Ergebnissen bei einem Vorentscheid, entscheiden kann mit welchem Beitrag sie beim ESC antritt, ist Maruv hier tatsächlich machtlos.

Doch so schnell wollte sie ihren hart erkämpften Sieg bei Vidbir nicht hergeben, wohl auch weil sie es Jamala und allen anderen Gegner ihres kontroversen Auftritts, das Spiel nicht so leicht machen wollte. Deshalb trafen Vertreter der Rundfunkanstalt gestern mit Maruv zusammen, um über den Vertrag zu reden. Etwa sieben Stunden tagten die zerstrittenen Parteien, auf der Suche nach einer Lösung mit der alle leben können, doch die gab es nicht. UA:Perschyj ist um keinen Fall bereit den Vertrag zu ändern und Maruv wird diesen Vertrag, in dieser Form, nicht unterschreiben. Da verzichtet sie lieber auf die ESC-Teilnahme!

Nun stellt sich die Frage woran sich Maruv denn genau stört. Sie war schließlich sogar dazu bereit ihre Karriere aufs Spiel zu setzen und die gesamten finanziellen Kosten, die um die ESC-Teilnahme der Ukraine entstehen, zu übernehmen! Mit folgenden Punkten des Vertrages ist Maruv in ihrer Summe nicht einverstanden:

- Es ist ihr verboten auf der Bühne zu improvisieren, ohne dies vorher detailliert mit dem Rundfunk abgesprochen zu haben. So wäre zum Beispiel ein Tanzschritt, der vorher so nicht abgemacht worden ist, ein Verstoß gegen den Vertrag, der für sie eine Strafzahlung von 2 Millionen Hryvnia (umgerechnet etwa 65.000€) zur Folge haben würde.

- Alle Rechte über ihren Song, mit dem sie beim ESC antritt, würde an das Plattenlabel "International Warner Music" gehen. Dieses Plattenlabel erhält alle Einnahmen, die mit "Siren Song" erreicht werden. Maruv verdient an ihrem ESC-Song also keinen Cent. Sie darf "Siren Song" auch nicht in einem Album unter einer anderen Plattenfirma veröffentlichen. Sie hat übrigens ihr eigenes Plattenlabel gegründet.

- Maruv darf bis zur Heimreise vom ESC mit keinem Journalisten, ohne Anwesenheit eines Vertreters des Rundfunks, sprechen, der das Gespräch überwacht und notfalls eingreift, sollte Maruv etwas sagen, das UA:Perschyj nicht gefällt. Dies ist ein Entzug sämtlicher Grundfreiheitsrechte eines jeden Menschen.

- UA:Perschyj darf bis zum ESC-Finale Maruv alles nur erdenkliche befehlen und sie muss dies ausführen. Wenn sie einer Anweisung nicht nachkommt, muss sie an UA:Perschyj eine Strafzahlung von 2 Millionen Hryvnia abtreten und darf nicht mehr am ESC teilnehmen. Außerdem muss sie alle Kosten tragen, die durch den Schaden der zurückgezogenen ESC-Teilnahme entstehen. Das heißt, Maruv bezahlt die kompletten Strafzahlungen für eine nachträgliche Teilnahmeabsage der Rundfunkanstalt, und ist für alle anderen Probleme die damit einhergehen rechtlich verantwortlich.

Was mich persönlich an diesem Vertrag am meisten schockiert hat, ist dass er die letzten Jahre schon Anwendung gefunden hat und nie verändert wurde. Das heißt die Künstler, die in den letzten Jahren für die Ukraine beim ESC angetreten sind, haben dies unter diesen Bedingungen getan. Seit wie vielen Jahren dieser Vertrag schon Anwendung findet, ist nicht bekannt. UA:Perschyj rechtfertigt diese strengen Richtlinien damit, dass sonst eventuelles Verhalten der ESC-Künstler zur gesellschaftlichen Spaltung des Landes führen könne und dies auf keinen Fall geschehen dürfe.

Maruv betonte, dass sie für diesen Vertrag keinerlei Gegenleistungen von UA:Perschyj erhält. Kein Geld, keine Unterstützung bei der Organisation für die Reise nach Tel Aviv und eventuellen Pre-Partys (die sie natürlich selbst bezahlen müsste), keine Werbeunterstützung, weder national, noch international. Sie müsse sich sogar selber um ihr Visum kümmern.

Maruv fühle den Druck der auf ihr lastet und möchte ihre treuen und neu gewonnenen Fans nicht enttäuschen ihr Land beim Eurovision Song Contest 2019 zu repräsentieren. Deshalb bittet sie ihre Fans und unabhängige Journalisten, die nicht dazu bereit sind den Anweisungen anderer zu folgen, um Unterstützung. Meine hat sie auf jeden Fall.

Unabhängig davon dass ich mich über ihren Sieg bei Vidbir eigentlich sehr gefreut habe, ihr diese Lebenserfahrung sehr gönne und sie so ganz nebenbei als eine der Top-Favoriten auf den ESC-Sieg gehandelt wurde, ist ein solcher Vertrag, seitens der Rundfunkanstalt, völlig inakzeptabel. Egal welcher Künstler in diese Situation gedrängt wird, ich würde immer auf seiner Seite stehen. Es ist unfassbar zu wissen dass mindestens Mélovin und O.Torvald unter diesem Vertrag zum ESC gereist sind und niemand davon mitbekommen hat! Ich würde mich freuen wenn kein Künstler bereit ist diesen Vertrag zu unterschreiben und die Ukraine entweder nicht am ESC teilnehmen kann, oder ihren Vertrag ändern muss. Es wird aber immer Künstler geben die bereit sind ihre menschlichen Grundrechte aufzugeben, um ein mal am ESC teilnehmen zu dürfen.

Wie UA:Perschyj nun weiter fortfahren wird ist unklar. Es gab noch keine offiziellen Äußerungen dazu, welchen Beitrag die Ukraine nun zum ESC schicken wird. "Cupidon" von Freedom Jazz wurde beim Vorentscheid 2., allerdings landete "Apart" von Kazka im Televoting hinter Maruv. Beides sind ohnehin nicht gerade beliebte oder erfolgsversprechende Beiträge gewesen. Unter diesen Bedingungen wird es erst Recht keine Unterstützung aus der ESC-Bubble, oder gute Werte von den Buchmachern geben.

Die Ukraine rennt geradewegs auf ein riesiges Desaster zu. Spätestens am 11.03. muss UA:Perschyj seinen endgültigen Beitrag bei der EBU eingereicht haben. Ich werde weiter berichten sobald es neue, handfeste Informationen zu den Entwicklungen in der Ukraine gibt.

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