Dienstag, 3. September 2019

Rotterdam 2020 und mein neues Leben

Nun habe ich verstanden dass ich nach der ESC-Überdosis im Februar bis Mai einfach eine Erholungskur brauche, um anschließend wieder eine entsprechende Euphorie für die nächste Saison entwickeln zu können. Treue Leser*innen von Eurovision Passion können sich also darauf einstellen dass auch zukünftig der Sommer hier von Stille geprägt sein wird. Momentan bin ich dabei mich wieder ein bisschen in Eurovision-Stimmung zu bringen. Das geht bei mir sehr schnell, wenn ich auch nur ein einziges Eurovision-related-Video auf YouTube sehe. Vermutlich wird es hier bald mit Posts weitergehen.

Vor wenigen Tagen fiel die schwere Entscheidung zwischen zwei starken Bewerbungen, wo der 65. Eurovision Song Contest 2020 stattfinden wird. Maastricht musste dabei leider enttäuscht werden. Die Welt wird am 03. bis 16. Mai nach Rotterdam blicken (in vielen Ländern auch am 17. Mai, je nach Zeitzone 😉).

Im Laufe dieses Sommers habe auch ich zwischen 60 verschiedenen Standorten entschieden, wo ich mein Leben fortsetzen werde. Die Wahl fiel auf Bielefeld. Nächste Woche werde ich erstmals in meinem Leben umziehen. Ich verlasse eine Vorstadt von Hamburg, in Schleswig-Holstein, in der ich geboren wurde und seit meinem ersten Lebenstag mein gesamtes bisheriges Leben verbracht habe. Hier bin ich aufgewachsen. Hier bin ich meine ersten Schritte gelaufen. Hier bin ich in die Schule gekommen. Hier habe ich drei Schulabschlüsse, darunter mein Abitur, gemacht und alle meine sozialen Kontakte geknüpft. In den Straßen dieser Stadt liegen so viele Erinnerungen, die ich nun verlasse, um in ein neues Leben zu ziehen. Ein Leben in einer Stadt, die fast zwölf mal so groß ist wie meine Heimatstadt. Ein Leben an einer Universität, die mehr Studenten hat, als meine Heimat Einwohner. An ein so anderes Umfeld werde ich mich erst einmal gewöhnen müssen.

Ich ziehe aber auch in ein freies, selbst bestimmtes Leben. Das ist für mich der größte Wert des wohl größten Lebensumbruches. In Zukunft kann ich in totaler Selbstbestimmung leben. Bisher war vorgegeben was ich zu tun hatte. Meine Haupttätigkeit war mit der Schule vorgegeben. Mein Wohnort war durch den meiner Familie vorgegeben. Was auf den Tisch kam wurde gegessen. Nun konnte ich mir aus tausenden Möglichkeiten frei aussuchen was und wo ich studiere. Ich konnte mir frei aussuchen dass ich studiere. Ich konnte mir meine Wohnung frei aussuchen (auch wenn die Auswahl durch den Mietpreis stark eingeschränkt ist). Ich kann mir meine Einrichtung frei aussuchen. Ich kann mir frei aussuchen was ich kaufe (auch wenn ich als Student nicht viel Geld habe). Ich kann mir sogar frei aussuchen ob ich zu den Veranstaltungen in der Uni gehe. Ich kann mir frei aussuchen wann ich was erledige. Mir ist schon bewusst dass mit der Eigenständigkeit noch viel mehr Pflichten auf mich zukommen, aber auf die freue ich mich. Ich möchte endlich ein richtiges Leben führen. Dafür Schüler zu sein, habe ich mich schon lange zu alt gefühlt.

Gleichzeitig bin ich auch unbeschreiblich dankbar dafür dass ich auf einem Fleckchen Erde lebe, auf dem ich all das in totaler, freier, Selbstbestimmung tun kann. Das ist nicht selbstverständlich. Darüber bin ich mir bewusst, umso mehr wertschätze ich diese Freiheit. Sie ist es die mich glücklich macht. Die ersten 17 bis 18 Jahre meines Lebens habe ich gebraucht um endlich zu meinem Lebensglück zu finden. Den habe ich dadurch dass ich zu 100% genau das mache wozu ich lustig bin. Von niemandem auf dieser Welt lasse ich mir reinreden, wie ich mich zu stylen oder verhalten, wie ich zu leben, was ich zu machen habe. Den Druck der Gesellschaft, sich dessen Ideal eines Individuums anzugleichen, weise ich einfach ab. Das ist eine der schwersten Aufgaben für einen Menschen, doch ich habe es geschafft sie zu bewältigen und genau das ist es was mich glücklich macht - individuell zu sein, das zu machen wozu ich jetzt gerade einfach Lust habe. Das ist mir diesen Sommer klar geworden. Ich bin so glücklich! Fast mein ganzes bisheriges Leben war ich das nicht, doch jetzt habe ich das wichtigste erreicht was es im Leben gibt - glücklich zu sein. Ich weiß auch dass ich das bleiben werde, weil mir niemand meine Lebenseinstellung nehmen kann. Leute auf der Straße glotzen mich an. Manche sind verwirrt und werden innerlich wütend, die meisten bewundern mich und wären gerne auch so. Mach es doch einfach :) Lass dir von niemandem sagen, ob das was du gerade tust gut ist, oder nicht. Es ist gut wenn es dich glücklich macht.

By the way, ich studiere Politikwissenschaft (Hauptfach, zwei Drittel des Studiums), mit Soziologie (Nebenfach, ein Drittel des Studiums). Das studiere ich, weil ich glaube dass es mich voll erfüllt und glücklich macht. Ich möchte das worauf es im Leben ankommt besser verstehen. Ich möchte verstehen warum Gesellschaften so komisch sind und ich sie nicht verstehe. Ich möchte die Welt neu verstehen, um vielleicht zu noch mehr Lebensglück zu bekommen. Deshalb habe ich mich für dieses Studium entschieden. Ich möchte mich weiterbilden. Aus diesem Grund studiere ich. Karrierechancen, berufliche Ausbildung und ähnliches sind mir dabei egal. Mit diesem Ansatz sollten viel mehr Menschen studieren. Dann wären sie glücklicher. Rein zufällig verschaffe ich mir mit diesem Studium allerdings eine sehr große akademische und berufliche Auswahl für das weitergehende Leben.

Ich hoffe du hattest auch einen schönen Sommer und hast die Eurovision Post Depression überlebt. Schon übernächsten Monat steht der Junior Eurovision Song Contest an. Die Vorbereitungen in den einzelnen Ländern dazu laufen auf Hochtouren. Einen Monat später wird das Festivali i Kenges wohl wieder die Vorentscheidungssaison einläuten. Wie intensiv ich diesen Blog während meines Studiums weiterführe weiß ich noch nicht. Anders als das Klischee es vermittelt, haben Studenten immer viel zu tun. Ohne den ESC werde ich aber auf keinen Fall leben. Vielleicht schaffe ich es ja der schönsten Nebensache der Welt weiterhin so viel Aufmerksamkeit zu widmen wie in meiner Schulzeit. Das soll`s für erstmal von mir gewesen sein. Merke dir: Loving Yourself Is A Winning Game!