Samstag, 1. Juli 2017

Das ESC-Jahr What is Eurovision? - Love Love Peace Peace Teil 3/4

Nachdem wir nun geklärt haben wer überhaupt teilnehmen darf und welche Regeln diese Teilnehmer alle beachten müssen, kommen wir nun zum Wesentlichen Part, der den Alltag eines jeden großen ESC-Fan begleitet und hoffentlich auch dich begeistert. Heute schauen wir uns an was alles an aufregenden Sachen im Laufe eines ESC-Jahres passiert, bevor wir uns dann im letzten Teil auf die Songauswahlsysteme der Rundfunkanstalten stürzen und anschließend jedes ESC-Land einmal kurz vorstellen. Wenn du ESC-Fan bist und du gefragt wirst was du denn die ganze Zeit machst, wenn es doch nur ein mal im Jahr eine 3 1/2-stündige Show gibt, kannst du ihm gerne diesen Post zeigen.

Fangen wir einfach mal am Tag nach dem Finale an. Da die Delegationen schon zwei Wochen am Veranstaltungsort verbracht haben, fliegen sie spätestens zwei drei Tage nach dem Finale wieder zurück in die Heimat. Sehr erfolgreiche Teilnehmer werden dabei am Flughafen von Menschenmassen empfangen und für ihren Verdienst geehrt. Was eine sehr erfolgreiche Teilnahme ist, hängt sehr von der Nation ab. Während eine Top 5-Platzierung in Schweden als normal angesehen wird, bricht in San Marino das Chaos aus, wenn sie das Finale erreichen.

Nach einigen Tagen verfliegt der Hype der Gesellschaft über das große Kulturereignis ganz Europas. Dann ist es Zeit für die ersten Nationen zu entscheiden, ob sie im kommenden Jahr dabei sind. Zu Anfang gibt es dabei meist eher erwartete Ergebnisse, die spannenden Entscheidungen fallen dann später. Die EBU schickt an jeden teilnahmeberechtigten Sender eine Einladung zum kommenden ESC. Diese muss bis zu einem festgelegten Termin entweder mit einer Zusage, oder einer Absage offiziell beantwortet werden. Bis etwa Anfang Oktober beantworten nach und nach immer mehr Länder diese Einladung. Bei den meisten weiß man schon vorheer fast sicher wie diese Antwort ausfallen wird, bei manchen ist es aber ein Hoffen und Bangen, bis man dann endlich dass Ergebnis erfährt. Die höchste Teilnehmerzahl beträgt übrigens 43, die 2008 in Belgrad, Serbien und 2011 in Düsseldorf, Deutschland erreicht wurde (Stand 2017).

Die ESC-Länder mit ihrer Debutzeit

Gründe warum Wackelkandidaten nicht teilnehmen sind vor allem finanzielle, dass die Teilnahme nicht im Budget des Senders liegt. Es gibt aber auch protestbedingte Absager, die mit den Regeln oder ähnlichem nicht zufrieden sind. In manchen Fällen ist ein Land mit dem Gastgeber so verfeindet, dass sie nicht gewollt sind dort teilzunehmen, wie zum Beispiel Armenien 2012 in Aserbaidschan und Russland 2017 in der Ukraine. Manchmal ist das Interesse eines Senders auch einfach generell zu gering, wie es lange Zeit bei Tschechien und momentan bei der Slowakei der Fall war bzw. ist. Als ESC-Fan hofft man natürlich dass möglichst viele teilnehmen, besonders die Länder, die man aus eurovisionärer Sicht liebgewonnen hat und dessen Auswahlmodus, oder Musik man unbedingt dabei haben möchte.

Im Juni oder Juli wird dann meistens auch die Stadt und die Halle ausgewählt, in der der ESC im folgenden Jahr stattfinden soll. Der Name der Stadt ist ein Teil des offiziellen Namens des ESCs. Mit etwas Glück werden ab August sehr vereinzelt die ersten Sänger ausgewählt, die im Mai auf der ESC-Bühne für ihr Land performen werden.

Mit dem 1.September bricht für viele die neue ESC-Saison an. Ab diesem Tag können alle Songs, die veröffentlicht werden, rein theoretisch beim ESC antreten. Die meisten Länder rufen etwa zu dieser Zeit auch dazu auf sich für den ESC des nächsten Jahres zu bewerben. Meist gibt es dann irgendwann im Oktober oder November die endgültige offizielle Teilnehmerliste der EBU. Kurz vorher fallen noch ein paar spannende Entscheidungen über die Teilnahmen.

Bühne vom Festivali i Këngës für 2017

Dann wird es auch richtig spannend und viel mehr geschieht. Spätestens um Weihnachten herum gibt es mit dem "Festivali i Këngës" den ersten Vorentscheid. Damit gibt es dann auch den ersten Song, der im Mai antreten wird, obwohl dieser in der Regel noch umkomponiert wird, aber dazu mehr im nächsten Teil.

Im Januar merkt man dann, dass der ESC nicht mehr weit weg ist. Der Slogan des diesjährigen ESCs wird kurz nach der Jahreswende veröffentlicht. Somit hat man nun endlich den vollständigen offiziellen Namen. Mitte Januar, wenn die ersten Songs und einige Künstler schon feststehen, werden die Halbfinals ausgelost. Wer kommt in welches Halbfinale und tritt dort in welcher Hälfte an? Näheres zu dieser Auslosung habe ich bereits im letzten Teil geschrieben. Dies muss zu diesem Zeitpunkt festgelegt werden, weil es den gesamten Probenplan im Mai bestimmt. Erst wenn man den im Groben weiß, kann man sämtliche Sachen planen und durchführen. Dazu später mehr.

Ab Ende Januar bis Anfang oder Mitte März (je nach Termin vom ESC) ist die Hauptvorentscheidungszeit. Herzlichen Glückwunsch an jeden, der es schafft immerhin jedes Finale der Vorentscheide zu sehen. Zu dieser Zeit ist so viel in der ESC-Welt los, wenn du nicht allzu viel verpassen möchtest, wirst du dazu gezwungen sein fast deine komplette Freizeit mit dem ESC-Geschehen zu verbringen. Da ich nun auch erstmals darüber Bericht erstatten werde, habe ich noch keine Ahnung wie gut das alles klappen wird, ich gebe aber mein Bestes, um dich jeder Zeit über alles, lückenlos, auf dem Laufenden zu halten.

Der geschichtsträchtige Vorentscheidungsmoment mit Andreas Kümmert

Die Vorentscheide der Länder sind so unterschiedlich und vielseitig, dass man eigentlich unbedingt alles sehen möchte. Auch wenn das alles schnell in zeitlichen Stress ausartet, ist es doch eine wunderschöne Zeit im Jahr, in der die eurovisionäre Seele aufgeht und glitzert. Dann weiß man wofür man lebt und was Leben bedeutet. Emotionen und unerkäufliches Glück. Alles dank einer Idee, die 1956 entstand. Auch wenn du jetzt vielleicht noch neu bist in der ESC-Welt und dir überlegst, wie man bloß die Vorentscheide anderer Länder gucken kann, wenn du es einfach auprobierst und dich für neues und anderes öffnest, wirst du schon bald merken wie mitreißend und emotional das alles ist. Es gibt nicht ohne Grund eine sechsstellige Zahl an ESC-Fans, die genau das machen und es mit aller Passion lieben.

Mitte März gibt es dann ein großes Delegationstreffen, bei dem jedes Land seinen Beitrag in endgültiger Version, mit Preview Video bei der EBU abgeben muss. Zu diesem Zeitpunkt, seit wenigen Jahren noch ein paar Tage später, haben wir Fans dann auch alle Songs und können uns auf das uneingeschränkte Hören,, Ranglisten, Prognosen und allem möglichem weiteren stürzen.

Jetzt kommen wir zu dem Punkt, an dem etwa 2/3 der Interpreten völlig überrascht sind welche Ausmaße der ESC hat. Die meisten Sänger kommen auf "Pre-Partys" zusammen. Das ist schwer zu erklären. Wer sich einfach mal Videos davon anschaut wird in etwa verstehen was das ist, wobei ich damit vor allem alles außerhalb der Auftritte meine. ESC-Journalisten reisen von einer Pre-Party zur nächsten und führen mit den Sängern Interviews. Bei diesen Pre-Partys lernt man die Persönlichkeiten der Interpreten super gut kennen und die ist bei den meisten total liebenswürdig. Ob man will oder nicht, die Persönlichkeiten der Sänger beeinflussen das eigene Ranking maßgeblich. Bei manchen mehr, bei anderen weniger. All die Sänger aus unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlichen Kulturen und unterschiedlichen Sprachen zusammen zu sehen, wie sie Freundschaften über die Grenzen hinweg schließen, zusammen Spaß haben, feiern und die Zeit ihres Lebens haben, ist für uns Beobachter sehr ergreifend. Dabei kommt dieses unbeschreibliche ESC-Gefühl immer wieder auf. Wer das kennt weiß wovon ich rede, wer nicht sollte es unbedingt mal erleben. Sehr viele ESC-Fans sehen das als Highlight des ESC-Jahres und gar nicht den ESC an sich, weil es dauerhaft so glücklich macht. Man kann schwer beschreiben warum man ESC-Fan ist, oder was daran so toll ist, nur wenn man es selber alles ausprobiert wird man das verstehen und wenn man nicht der falsche "Typ" dafür ist wird man es lieben und nicht wieder von wegkommen. Es ist fast wie eine Droge, nur ohne Entzugserscheinungen und ohne die ganzen Probleme.

Logo der Pre-Party von Tel Aviv

Sobald die Bühne steht, proben Musikstudenten stellvertretend für die eigentlichen Sänger auf der ESC-Bühne, damit alles fertig vorbereitet ist, wenn die tatsächlichen Interpreten proben wollen. DIe wird "Stand-in rehearsals" genannt. Die Öffentlichkeit interessiert sich dafür eher weniger. Zwei Wochen vor dem Finale beginnt dann die Hauptprobenzeit. Diese wird auch hier zu einem der großen Kerne der Berichterstattung. Zwei Wochen lang wird auf der ESC-Bühne von morgens bis Abends geprobt bis zum Umfallen und es ist fantastisch! Proben klingt erstmal zwar langweilig und nicht sehenswert, wer sie aber schon einmal verfolgt hat, wird wissen dass es zwei Wochen sind, auf die man sich das ganze Jahr über freut.

Alle teilnehmenen Nationen schicken dann eine etwa 10-20 Personen starke Delegation zum ESC. Diese besteht aus folgenden Leuten: die an der Bühnenshow beteiligten Personen, wie zum Beispiel Sänger und Tänzer, oder was auch immer sich so ausgedacht wird und einem Delegationsleiter, der über alles einen Überblick haben muss und dafür sorgt, dass alle anderen Delegationsmitglieder nicht gestresst sind und sich auf die Proben konzentrieren können. Der Stagedesigner, der sich die Bühnenshow ausgedacht hat, wobei andere selbstverständlich Mitspracherecht haben. Meistens sind auch der Kostümdesigner und Schneider, Frisör, Make-Up-Artist und Menschen die ähnliche Aufgaben erfüllen dabei. Oft gibt es auch eine Begleitperson (für den Hauptinterpreten), der einfach im Allgemeinen für gute Stimmung sorgt, die für produktive Proben wichtig sind. Im Falle Deutschlands nimmt seit ein paar Jahren Bürger Lars Dietrich diese Rolle ein. Neben diesen Aufgabenträgern sind oft auch noch andere Personen, mit unterschiedlichem Wirken in den Delegationen vertreten.

Selbstverständlich haben die Delegationen in ihrer Heimat alles vorher schon fertig geprobt, dass man es nur noch aufführen müsste, wenn sie dann aber auf der Bühne proben, wird doch wieder ganz viel umgeworfen und verändert, weil es nicht perfekt oder eindrucksvoll genug ist. Dafür stehen jeder Delegation zwei Proben auf der echten ESC-Bühne zur Verfügung. Die erste beträgt 30 Minuten, die zweite 20 Minuten. Bei beiden Proben ist angesetzt den Auftritt drei mal durchzuspielen. Das klappt nicht immer so ganz, aber dafür hat man ja auch die Proben. Nach einer Probe geht es mit der gesamten Delegation dann in den Viewing Room. Dort schaut man sich erstmals an, wie alles am Fernsehbild wirkt. Dabei stellt man auch fest, was den hohen Ansprüchen nicht genügt und ändert in den meisten Fällen noch mal viel. Es kann auch an technischen Entscheidungen, wie zum Beispiel Kameraeinstellungen gefeilt werden. Anschließend gibt es noch eine sehenswerte Pressekonferenz beim Pressezentrum, von dem aus zahlreiche Journalisten unter Hochdruck arbeiten, um möglichst alles aufzufangen und an ESC-Fans weiterzugeben. Nach der zweiten Probe muss im Viewing Room auch über die beiden Ausschnitte für die Schnelldurchläufe (unterschiedlicher Länge) entschieden werden. Diese Entscheidung liegt also einzig und allein bei den Delegationen.

Schnappschuss einer Stand-in rehearsal

Bis jede Nation dieses Programm zwei mal durchlaufen ist, dauert es einige Tage. In der Zwischenzeit Proben die Delegationen die Bühnenshows noch mal intensiv in den Hotels. Wie du siehst ist jedes noch so kleine Detail bei einer ESC-Performance auf das Genaueste bestimmt. Das ist Show.

Es gibt auch jeden Abend ein paar Partys in der Stadt, bei denen die Sänger auftreten. Besonders bekannt sind der (offizielle) Euroclub und das Wiwijam von Wiwibloggs. Am Sonntag Nachmittag, vor den Shows gibt es den Delegationsempfang. Dabei laufen alle Sänger mit außergewöhnlicher Abendgarderobe über einen elendig langen Roten Teppich und geben unzählbar viele Interviews. Anschließend gibt es eine weniger sehenswerte Eröffnungszeremonie. Darunter ist allerdings keineswegs etwas ähnliches wie bei den Olympischen Spielen zu verstehen, sondern ein paar Reden, die gehalten werden müssen und un geprobte musikalische Gigs.

Montag bis Samstag gibt es dann jeden Tag zwei Shows, für die man Karten kaufen kann. Bei der ersten hält es sich immer um eine Generalprobe und bei der zweiten entweder um eine Juryshow, oder um eine der drei Liveshows, die im Fernsehen ausgestrahlt werden. Am Samstagabend kommt dann das Finale, auf das ein Jahr lang hingearbeitet wurde. Am Ende steht der Sieger und somit das Gastgeberland fest, welches schon auf der Pressekonferenz nach dem Finale von Jon Ola Sand mit den Vorbereitungen für das nächste Jahr konfrontiert wird. Die Delegationen fliegen wieder nach Hause und alles fängt von vorne an, nur unter anderen Bedingungen, Begenbenheiten, veränderten Vorgeschichten und ganz viel Vorfreude.

Die ESC-Jahresuhr

Das sind die wichtigsten Ereignisse in einem ESC-Jahr. So ganz nebenbei geschehen dann noch viele andere interessante Sachen. Wie schon erwähnt, kann man nicht wirklich erklären was daran alles so toll ist, aber es begeistert und erfüllt einen mit Lebensfreude. Es gibt viel mehr ESC-Fans als alle denken und du wirst dankbar sein, wenn auch du die Welt hinter der Show entdeckst und etwas neues Lebensbegleitendes findest, was du liebst und dich glücklich macht. Hab keine Angst vor Neuem, sondern sei bereit dafür dein Leben zu bereichern und schöner zu machen.

Zum Abschluss habe ich noch einen der beiden namensgebenden Intervalacts dieser Serie, in dem Måns Zelmerlöw und Petra Mede versuchen zu erklären was der Eurovision Song Contest ist, aber das sieht etwas anders aus, als bei mir. Viel Spaß beim gucken und Zurückerinnern.

What is Eurovision? - Måns Zelmerlöw & Petra Mede

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