Samstag, 17. Juni 2017

Wer darf am ESC teilnehmen? What is Eurovision? - Love Love Peace Peace Teil 1/4

Wie mehrfach angekündigt, werde ich in der ersten "Eurovision Post Depression" auf diesem Blog in Detail genaustens erklären was der Eurovision Song Contest ist und wie alles funktioniert, damit jeder die Berichterstattung versteht und sich daran erfreuen kann. Du wirst merken dass alles einen viel größeren Umfang hat, als du denkst. Vielleicht entdeckst du dabei ja auch deine Passion zu diesem wundervollen Fest.

Im ersten von 4 Teilen erkläre ich wie der ESC entstanden ist, wer die Entscheidungen über Regelwerk und Ähnliches trifft und wer teilnehmen darf. Dass Länder wie Israel, Georgien und Australien dabei sind, hat keinerlei politische Gründe. Überhaupt hat Politik mit dem Eurovision Song Contest wenig bis gar nichts zu tun, aber eins nach dem anderen.

Wir schreiben den 12. Februar 1950 in Torquay, England. 23 Rundfunkanstalten schließen sich zur "European Braodcasting Union" zusammen, kurz EBU. Das Ziel dieser "Europäischen Rundfunkunion" war es den Nachrichtenaustausch in Europa zu vereinfachen und technische Entwicklungen zu fördern. Außerdem wollte man eine Stadardisierung der technischen Mittel herstellen. Heute ist ebenfalls das Vergeben von Übertragungsrechten v.a. bei Sportveranstaltungen in der Hand der EBU. Wer Olympische Spiele, Fußball-WM und co. zeigen darf und wer nicht, wird am "Runden Tisch" in Genf entschieden, wo der Sitz der EBU ist.

Logo der EBU

Drei Jahre später gab es weltweit die erste internationale Livesendung; die Krönung von Elisabeth II., nur ermöglicht durch die EBU. 1956 wollte die EBU, die unter ständigem Mitgliederzuwachs stand, eine Sendung produzieren, die den Frieden in Europa fördern sollte. Wichtigstes Kriterium dieser Sendung war, dass sie vollkommen unpolitisch sein soll. Außerdem war es wichtig, dass Länder sich repräsentieren sollten, mit denen die Zuschauer der Sendung sich identifizieren können. Wie bei den Olympischen Spielen sollte es einen friedlichen Wettkampf geben, der zeigen soll, dass man sich auch gänzlich ohne Krieg miteinander messen und feiern kann. Die Vielfalt Europas sollte in glänzendem Licht präsentiert werden.

Man entwickelte den Grand Prix de la Chanson, der später in den Eurovision Song Contest umbenannt wurde. Der Name setzt sich übrigens aus den Wörtern "Europe" - Europa und "Television" - Fernsehen zusammen. Es war ein riesiger Erfolg. Keiner hätte ahnen können welche Beliebtheit und Bedeutung dieser Wettstreit des Friedens bekommen konnte.

Hauptaufgabe der EBU ist immernoch der Nachrichtenaustausch und die Förderung der technischen Entwicklung bezüglich des Rundfunks. Ohne die EBU würden Tagesschau und die Qualität des Fernsehens auf der ganzen Welt heute völlig anders sein. Es ist eine der wichtigsten Organisationen der Welt, aber dennoch unbekannt, da sie im Hintergrund arbeitet und ihre Erfolge als Gewinn der Allgemeinheit angesehen werden. Wir schauen uns nun aber den dritten großen Bereich der EBU an - den Eurovision Song Contest.

Mit diesem Bild fing alles an

Bei der ersten Ausgabe von 1956 gab es nur 7 Teilnehmerländer. Kaum vorstellbar, wenn man den Wettbewerb schon mit 43 Ländern erlebt hat. Doch wer durfte damals teilnehmen und warum? Die EBU hat beschlossen, dass aus jedem Land eine Rundfunkanstalt, die Mitglied in der EBU ist, teilnehmen darf. Deutschland wurde 1952 Mitglied der EBU. Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland, kurz ARD, trat der Union mit BR, hr, MDR, NDR, RB, rbb, SR, SWR, WDR, DW und DLR bei. Heute ist der NDR für den ESC zuständig. 1953 folgte das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF), welches bis heute keine Befugnis zum ESC hat. Es kann nicht jeder Fernsehsender einfach so Mitglied werden. Nicht nur dass eine Mitgliedsschaft dauerhaft laufende Kosten beinhaltet, die nur schwer zu bewältigen sind, eine Rundfunkanstalt muss auch alle harten Kriterien erfüllen, die die EBU vorsieht. Genau hier kommen wir zum Knackpunkt dessen, warum Aserbaidschan beim ESC ist, aber Liechtenstein nicht teilnehmen darf.

Einer der Grundvorraussetzungen für die Mitgliedsschaft, ist es innerhalb der europäischen Grenzen zu liegen. Diese hat die EBU bei der Gründung 1950 nach ganz eigenen Maßstäben festgelegt. Im Norden zählt das Europäische Nordmeer als Grenze, im Westen der Altlantische Ozean. Soweit so gut. Im Osten sind die Grenzen Europas umstritten. Alleine schon das Gebirge Ural als geographische Grenze zu zählen, macht eine genaue Linie zu ziehen unmöglich. Man hat sich darauf geeinigt 40° östliche Länge als Grenze zu nehmen. Der Ural verläuft bei etwa 50-60° östlicher Länge. Im Westen geht die geographische Grenze zwischen den türkischen und griechischen Inseln bis zu etwa 25° östlicher Länge. Die südliche Grenze der EBU muss man weiter erläutern.

1950, als die Grenzen festgelegt wurden, waren Algerien, Marokko und Tunesien noch Kolonien Frankreichs und gehörten somit zum Staatsgebiet der wichtigen EBU-Nation. Die Rundfunkanstalten ENTV, ENRS und TDA aus Algerien, sowie SNRT aus Marokko, gehören zu den Gründungsanstalten der EBU, somit war man bei der Entstehung doppelt gezwungen die südliche Grenze südlich genung zu legen. Man entschied sich für 30° nördliche Breite.

ehemaliges Staatsgebiet Frankreichs

Somit liegen Marokko und Tunesien, die zwei Monate vor dem ersten ESC unabhängig wurden, Algerien, das 1962 unabhängig wurde, Ägypten und Libyen innerhalb der EBU-Grenzen und sind Vollmitglieder, obwohl es sich eigentlich um afrikanische Staaten handelt. Sie alle sind beim ESC somit startberechtigt. Lediglich Marokko nahm dieses Angebot an. Mehr dazu gibt es in einem extra Post zu Marokko.

Asiatische Länder, die innerhalb der Grenzen liegen und nicht immer eindeutig zu Europa gezählt werden, sind Georgien, Jordanien, Libanon, Russland, die Türkei und Zypern. Jordanien hat nicht das Interesse dazu am ESC teilzunehmen. Libanon möchte eigentlich teilnehmen, im Grundgesetz des Landes ist es jedoch fest verankert, dass sie die Existenz von Israel nicht beachten. Somit möchten sie nicht an einem Wettbewerb teilnehmen, in dem auch Israel vertreten ist. Dazu gab es 2015 auf einer Pressekonferenz der israelischen Delegation in Wien eine herzerwärmende Szenerie mit einem libanesischen ESC-Fan und dem israelischen Sänger Nadav Guedj. Es endete damit, dass die beiden sich, mit ihren Nationalflaggen, weinend in den Armen lagen. Mehr Symbolik für Frieden gibt es kaum. Georgien, Russland, die Türkei und Zypern sind bzw. waren beim ESC dabei.

Palästina liegt ebenfalls innerhalb der Grenzen. Die Rundfunkanstalt PBC erfüllt jedoch nicht alle EBU-Normen. Früher war es assoziiertes Mitglied. Bis heute führt PBC eine der sechs Dauerbewerbungen, in die EBU als Vollmitglied aufgenommen zu werden. Ein weiteres asiatisches Land innerhalb der Grenzen ist Syrien. Sie sind mit der ORTAS als assoziiertes Mitglied in der EBU vertreten. Der Sender hat kein Interesse an einer Vollmitgliedsschaft. Auch der Irak und Saudi-Arabien liegen innerhalb der Grenzen. In beiden Nationen hat keine Rundfunkanstalt Interesse an der EBU. Israel hatte seit 1957 bis zum Finaltag des ESCs 2017, mit der IBA eine Vollmitgliedsschaft in der EBU. Der Sender wurde eingestellt. Als "Ersatz" gibt es Beitrittsverhandlungen von IPBC, das momentan nicht alle vorrausgesetzten Kriterien erfüllt. Kasachstan liegt zwar teilweise innerhalb der geographischen Grenzen Europas, allerdings außerhalb der EBU-Grenzen. Die Manschen im Land lieben den ESC und es gibt große Bemühungen am ESC teilnehmen zu dürfen. Ein kasachischer Beitrag in naher Zukunft gilt als durchaus möglich. Somit sind der Irak, Israel, Kasachstan, Palästina, Saudi-Arabien und Syrien, trotz ihrer geographischen Lage, beim ESC nicht teilnahmeberechtigt. (Stand Juni 2017)

Ihm haben Armenien und Aserbaidschan den ESC zu verdanken - der Europarat

Armenien und Aserbaidschan liegen jenseits des 40. östlichen Längengrades, sind aber trotzdem Vollmitglieder der EBU. Armenien ist mit AMPTV seit 2005 dabei. Aserbaidschan mit iCTI bzw. iTV seit 2007. 2001 wurden sie Mitglieder des Europarates und bekamen somit eine große politische Bedeutung für Europa. Da der Nachrichtenaustausch das Wichtigste in der EBU ist, gibt es eine Sonderregelung; wenn ein Land außerhalb der EBU-Grenzen Liegt, jedoch Mitglied im Europarat ist, kann es auch Mitglied der EBU werden. Dies ist für einen qualitativ hochwertigen Nachrichtenaustausch von elemantarer Bedeutung und schon fast notwendige Pflicht geworden. Eine Vollmitgliedsschaft bedeutet eine Teilnahmeberechtigung am Eurovision Song Contest. Somit sind auch Armenien und Aserbaidschan startberechtigt.

Wir verlassen die europäisch-asiatischen Grenzen und gehen nach Mitteleuropa. Genauer gesagt ins kleine Liechtenstein. Auch dieser Staat hat eine Rundfunkanstalt, die am ESC teilnehmen möchte. Sie erfüllt sogar alle vorgegebenen Auflagen der EBU und kann eine Teilnahme durchaus finanzieren. Das Problem liegt hier darin, dass 1FLTV die dauerhaft laufenden Kosten einer EBU-Vollmitgliedsschaft nicht bezahlen kann. Eben diese ist notwendig, um beim ESC dabei sein zu dürfen. Liechtenstein gilt damit als nicht startberechtigt. Der Vatikanstadt ist mit CTV und RV Gründungsmitglied der EBU, wobei CTV die Mitgliedsschaft 2012 gekündigt hat. Am Ende ist es immer die zuständige Rundfunkanstalt jeder Nation, die jährlich darüber entscheidet, ob das Land einen Beitrag zum ESC beisteuert. RV hat sich immer dagegen entschieden, somit war der Vatikanstadt nie beim ESC vertreten.

Das umstrittene Land Kosovo hat mit RTK seit 2008 eine Rundfunkanstalt, die sich sehr um eine EBU-Vollmitgliedsschaft bemüht, insbesondere die Teilnahme am ESC steht als großes Ziel dar. Serbien sieht den Kosovo als Region des eigenen Landes an. Deswegen legt der serbische EBU-Sender RTS bei jeder erneuten Beitrittsverhandlung sein Vetorecht ein und verhindert den EBU-Eintritt von RTK und gleichzeitig die Teilnahme am ESC. Unterm Strich ist die EBU somit eine der wenigen internationalen Organisationen, die Kosovo nicht als eigenständigen Staat ansehen, obwohl fast alle Mitglieder ebendies tun.

Australien - ein Land in Europa?

Fehlt nur noch Australien... Selbstverständlich liegt dies außerhalb der europäischen EBU-Grenzen und ist auch kein Mitglied im Europarat. Neben einer Vollmitgliedsschaft kann man auch Assoziiertes Mitglied der EBU werden. Mit diesem Status bezahlt man deutlich weniger Beitragsgelder, hat aber auch nur stark eingeschränkte Berechtigungen, zum Beispiel fehlt die Erlaubnis für eine ESC-Teilnahme. 34 Rundfunkanstalten aus 22 verschiedenen Ländern, aus der ganzen Welt, sind Assoziierte Mitglieder der EBU. Darunter auch ABC, Free und SBS aus Australien. SBS überträgt seit den 70er Jahren den Eurovision Song Contest. Die Australier sind so verrückt nach dem ESC, wie kaum ein anderes Land. Mitten in der Nacht stehen sie alle auf, um sich einen Musikwettbewerb in Europa anzuschauen - seit Jahrzehnten. SBS würde fast alles dafür tun, um am ESC teilnehmen zu dürfen.

2015, lange Zeit nach Fertigstellung der endgültigen Teilnehmerliste, verkündet die EBU, dass SBS unter australischer Flagge einmalig einen Beitrag für den ESC entsenden darf. Als Hauptgrund dafür wurde der Anlass des 60. Jubiläums genannt. Völlig überraschend folgte 2016 eine erneute Einladung, unter der Bedingung die eigenen hohen Teilnahmegebühren und die von drei weiteren Ländern zu bezahlen. Ohne Australien hätten diese nicht teilnehmen können. Man hätte damit nach 2009 und 2011 eigentlich zum dritten Mal die Rekordteilnehmerzahl von 43 erreicht, wenn Rumänien nicht kurzfristig disqualifiziert worden wäre. SBS nahm das Angebot selbstverständlich an und war auch 2016 dabei. Seit 2017 entscheidet die EBU Jahr für Jahr, ob Australien teilnehmen darf. Hauptfaktor, von dem dies abhängt, sind die Ergebnisse, die Australien beim ESC erzielt. Es gibt Bemühungen und Verhandlungen um einen dauerhaften Startplatz für Australien.

Love Love Peace Peace - Motto vom ESC?

Der Eurovision Song Contest ist schon längst kein rein europäischer Wettbewerb mehr. Auf der ganzen Welt wird er im Fernsehen ausgestrahlt und gesehen. Überall gibt es zahlreiche ESC-Fans. Die EBU sollte ihre Pforten weiter lockern und Ländern, wie Kasachstan, China und co., die liebendgern beim ESC dabei wären eine Chance geben. Der ESC ist dazu da um Vielfalt zu zelebrieren und den Frieden zu fördern, nicht um andere auszuschließen und kriegerische Teilnahmeverhandlungen zu führen. Der Name dieser Post-Reihe stammt aus zwei Intervalacts vom ESC 2016. What is Eurovision? - Love Love Peace Peace, also lasst uns dies auch leben. Nun regst du dich vielleicht nicht mehr über Teilnahmen von nicht europäischen Ländern auf und feierst einfach mit, ganz im Sinne von "Love Love Peace Peace".

Im zweiten Teil werfen wir einen Blick in das Regelwerk und schauen uns an, ob der ESC wirklich so viel kostet, wie es Kritiker behaupten.

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