Donnerstag, 23. Mai 2019

ESC-Ergebnis 2019 offiziell korrigiert! - Kommentar zum Juryvoting

Na endlich, es dauerte ganze vier Tage bis die EBU endlich das ESC-Ergebnis korrigiert. Die Verantwortlichen hatten die Jurypunkte von Weißrussland falsch vergeben, wie ich schon berichtete. Ebenfalls kannst du das nun neu, offizielle, Endergebnis unter dem Link einsehen. Hier möchte ich nun auf ein allgemeines Problem des ESCs eingehen, das nun heiß diskutiert wird - das Juryvoting in seiner Gesamtheit.

Neben diesem fatalen Fehler, haben dieses Jahr auch zwei Jurymitglieder ihre Wertungen falsch aufgeschrieben. 2016 trug das dänische Jurymitglied Hilda Heick bei dem Beitrag, den sie auf Platz 1 setzen wollte, die höchste Zahl ein, weil sie dachte es wäre eine Punktzahl. Zu ihrem letzten Platz schrieb sie die 1, das tat sie im Halbfinale, wie im Finale. Die Fernsehmoderatorin stellte ihre Rangliste versehentlich auf den Kopf, was das Gesamtergebnis natürlich beeinflusste, glücklicherweise nur keine Platzierungen änderte. Dieses Jahr passierte dieser Fehler gleich zwei Jurymitgliedern. Lina Hedlund aus Schweden und der tschechischen Jury-Vorsitzenden Iva Boková. Beide machten diesen Fehler nur im Halbfinale, trotzdem hatte er fatale Folgen. Die größte ist, dass Polen eigentlich ins Finale gekommen wäre, anstelle von Weißrussland. Ein Fehler beim Aufschreiben der Wertung hat der polnischen Delegation die verdiente Finalteilnahme genommen. Der Fehler der EBU bei den weißrussischen Jurypunkten hat der ganzen nordmazedonischen Nation das Erlebnis genommen, das Juryvoting gewonnen zu haben, einem Land das als bestes Ergebnis aller Zeiten zuvor einen 12. Platz erlebte und seinen ersten Finaleinzug seit 2012 schon so sehr feierte, als hätten sie den ESC gewonnen. Diese Fehler kann man zwar korrigieren, ihre Wirkung ist aber so wie Doping in Sport, wenn Athleten, die betrogen haben, nachträglich disqualifiziert werden. Was bringt einem die nachträglich, mit der Post zugeschickte, Goldmedaille, wenn man den Moment sie zu gewinnen nicht erleben durfte?

Ja, ich vergleiche die menschlichen Fehler der EBU mit Dopingsündern. Ich weiß, dass Menschen Menschen sind und dass Menschen Fehler machen, wenn aber wiederholt die gleichen Fehler passieren und diese vermeidbar wären, wenn sorgfältiger gearbeitet werden würde, sind diese Fehler mit nichts in der Welt zu entschuldigen! Man stelle sich vor diese Fehler hätten nicht nur insgesamt 18 Platzierungen und einen Finaleinzug beeinflusst, sondern den Gewinner, weil es ein knapper Sieg war, wie will die EBU das entschuldigen? Einen falschen Sieger zu küren und vier Tage später sagen "Ach sorry, ihr habt doch nicht gewonnen, wir haben die Jurymitglieder nicht gut genug informiert, dass "1" "1. Platz" bedeutet und bei der Vergabe der Punkte nicht genug gegenkontrolliert, ob auch wirklich alles stimmt, deshalb müssen wir das komplette Ergebnis nachträglich korrigieren."

Außerdem wurde mehrmals in den Liveshows betont wie sehr doch jeder einzelne Anruf zähle und wichtig sei. Im zweiten Halbfinale wurde verkündet, dass nur zwei Punkte den Unterschied, zwischen Finaleinzug und Ausscheiden ausgemacht haben. Später stellt sich heraus, dass die falschen Finalisten verkündet wurden, weil die EBU zu blöd ist, um die Jurymitglieder ausreichend zu briefen. Schon drei Mal haben Jurymitglieder ihre Listen falsch herum aufgeschrieben und das hat einen viel größeren Einfluss auf das Ergebnis, als wenn eine Großfamilie mit jedem mobilen und Festnetz-Telefonanschluss die 20 Anrufe voll ausreizt. Da fühlt man sich als ESC-Fan, als Zuschauer, verarscht und um sein Geld für die Anrufe betrogen, aber es wird weiter betont wie wichtig jeder Anruf sei.

Wegen dieser vielen Juryvoting-Fehler, wird in der ESC Bubble nun heiß diskutiert, ob das Juryvoting geändert werden müsse. Die Jury war schon immer ein großer Streitpunkt beim ESC. Warum dürfen fünf Menschen über die Hälfte der Punkte entscheiden, die eine gesamte Nation vergibt? Wieso sollen diese Menschen so viel "besser" abstimmen, als die allgemeine Bevölkerung? Warum schneiden immer die gleichen Länder bei der Jury gut/schlecht ab? Warum benachteiligt die Jury nicht-englischsprachige Songs und außergewöhnliche Kompositionen? Was legitimiert eine Person, die mal Blockflöte gespielt hat, und in San Marino lebt, dazu Jurymitglied zu sein? Sind die professionellen Jurys professionell genug, wenn sie nicht mal ihre Wertungen richtig aufschreiben können? Warum werten viele Jurymitglieder offensichtlich politisch, obwohl sie vor allem dazu da sind, genau das nicht zu tun? Wieso dürfen sich die Jurymitglieder in einem Raum aufhalten, während sie die Juryshow sehen und werten, wenn sie doch unabhängig voneinander bewerten sollen? Warum entscheidet die EBU bei manchen Jurywertungen darauf, dass sie abgesprochen seien und bei anderen nicht, obwohl sie noch viel mehr Ähnlichkeiten aufwerfen?

Ich könnte noch weiter machen. Es gibt viel, berechtigte Kritik an dem System der Jurys, wer die Jurymitglieder sind, und wie sie werten. Ich möchte nun den allgemeinen Konsens der Diskussionen widergeben und meine persönliche Meinung dazu ergänzen.

Am häufigsten wird nun von ESC-Fans gefordert, dass die EBU verdammt noch mal die Jurymitglieder besser über ihre Wertungen aufklären muss. Es muss zukünftig jedem Jurymitglied, in aller Deutlichkeit, unmissverständlich, klar gemacht werden, dass "1" nicht für einen Punkt, sondern für "Platz 1" steht. Nachdem es nun wiederholt vorgekommen ist, darf nie wieder der Fehler passieren, dass ein Jurymitglied die Wertung falsch herum abgibt. Wenn das noch ein mal passiert, sind alle in der EBU, dafür verantwortlichen sofort zu feuern! Am Besten wird noch einmal nachgefragt, wenn ein Jurymitglied die Wertung abgibt, ob das Land mit der "1", auch wirklich dessen persönlicher Sieger der Jurywertung sein soll. Es handelt sich hier um etwas so wichtiges, da muss man alles mehrmals gegen kontrollieren. Lieber einmal zu oft, als einmal zu selten kontrolliert. Da zwischen dem Ende der Juryshow und der Verkündung der Ergebnisse fast 24 Stunden liegen, sollte es auch keine temporären Probleme bereiten, noch einmal nachzufragen und zu mehrmals zu kontrollieren, ob niemand einen Fehler gemacht hat, bei so vielen Zahlen und Rechnungen.

Kaum seltener ist die Forderung nach einer Vergrößerung der Jurys zu hören. Bei fünf Mitgliedern in einer nationalen Jury, ist ein eventueller Fehler eines Mitgliedes von großer Auswirkung auf die Punkte, die vergeben werden. Bei einer höheren Anzahl, von beispielsweise zehn, oder zwanzig Jurymitgliedern für jedes Land, würde eine falsche Wertung eines Jurors nur noch sehr, sehr wenige Punkte ausmachen. Außerdem wird durch die Fehler deutlich, über wie viel ein einziges Jurymitglied entscheidet, wie viel eine einzige Person von dem Ergebnis dieser Show, mit 200 Millionen Zuschauern, entscheidet. Eine höhere Anzahl an Jurymitgliedern würde die Bevölkerung besser repräsentieren und den zu großen Einfluss des Einzelnen vermeiden. Ich möchte dazu aber anmerken, dass sich die Punkte mehr auf wenige Länder verteilen werden, weil bei einer größeren Jury die Chance kleiner ist, dass diese mal anders abstimmt, als die anderen Jurys und auch Beiträge Punkte bekommen, die sonst nicht so gut gestellt sind. Das fände ich schade, trotzdem gehöre ich ganz klar zu der großen Mehrheit, die größere Jurys fordert.

Ebenfalls wird gefordert, dass die Jurymitglieder nicht politisch abstimmen dürfen. Das dürfen sie laut Regelwerk auch gar nicht. Trotzdem tun es einige, was dem allgemeinen Zuschauer deutlich wird, wenn die griechische und zypriotische Jury untereinander zwölf Punkte austauschen, oder die Höchstwertungen von Dänemark und Norwegen nach Schweden, die von Spanien nach Portugal geht. Auffällig ist es natürlich auch, dass es kein armenisches Jurymitglied gab, das jemals Aserbaidschan nicht auf den letzten Platz gesetzt hat und genauso kein aserbaidschanisches Jurymitglied jemals Armenien nicht auf den letzten Platz gesetzt hat. Normalerweise gehört Georgien zu den sicheren Punktelieferanten für Russland. Aus aktuellen, politischen Ereignissen, haben alle fünf Georgier Russland auf den letzten Platz gesetzt. So etwas will keiner sehen und prescht gegen alles wofür der ESC steht. Ich finde das auch nicht gut, aber seien wir doch mal ehrlich, was will man dagegen tun, wenn ein Georgier neben Russland die 26 schreibt? Man kann dann doch nicht sagen "du musst den Song besser bewerten weil es Russland ist." oder zu einem Griechen "Du darfst Zypern nicht auf die eins setzen, selbst wenn es dein persönlicher Gewinner ist, die Jurykriterien am besten erfüllt und auch den gesamten ESC gewinnt." Das wäre doch noch unfairer und hätte mit einer freien Entscheidung der Jurymitglieder nichts mehr zu tun.

Ein weiterer Punkt, der stark gefordert wird, ist dass die Jurymitglieder in unterschiedlichen Räumen sitzen müssen, wenn sie werten. Jeder, der auch nur ein bisschen grundlegende Ahnung von Kommunikationstheorien hat, weiß dass der Mensch viel mehr durch alles andere, als Wörter kommuniziert. Wenn man mit den anderen Jurymitgliedern zusammen die Show sieht, merkt man was die anderen mögen und was nicht. Seit 2014 wird die Wertung jedes Jurymitgliedes veröffentlicht. Keiner möchte ein Arschloch sein und seine Kollegen enttäuschen. Dadurch wertet man, ob nun bewusst, oder unterbewusst, das ist egal, die Beiträge, die die anderen in der Jury mögen besser und die Beiträge, die die anderen nicht mögen schlechter. Deshalb sind sich die nationalen Jurys untereinander meist so einig, obwohl sie vielleicht ganz anders abgestimmt haben, als die Jury aus dem Nachbarland. Die Jurys müssen die Show in getrennten Räumen sehen und bewerten.

Doch wie wird bewertet. Auch die Kriterien stehen immer wieder zur Diskussion. Der spanische Song zum Beispiel, hat einen ganzen Kontinent zum feiern gebracht, doch dies schlägt sich in keinem Kriterium der Jurys wider. Tatsächlich wurde beim spanischen Beitrag keineswegs auf die Jurykriterien geachtet. Als Juror hat man keine andere Wahl, als das Land in den vorgegebenen Kriterien schlecht zu bewerten, da kann es natürlich nicht viele Punkte geben. Sind die Kriterien richtig gesetzt? Sollte man sie ändern? Sollte nicht einfach jedes Jurymitglied die eigene, persönliche Rangliste abgeben dürfen?

Ich finde nicht. Die Jurys machen die Hälfte des Ergebnisses aus, weil sie dadurch für Qualität sorgen. Die Delegationen müssen darauf achten, dass sie nicht nur beim Publikum, sondern auch bei den Jurys gut abschneiden. Deshalb gibt es in fast jedem Vorentscheid auch eine Jury und wer bei der ganz schlecht abschneidet, kann nicht gewinnen und zum ESC fahren - außer er heißt Bilal Hassani. Ohne Jurys hätten wir viel mehr Trash beim ESC. Leute die nicht singen können, billig produzierte Songs und auch herzlose Stagings. Die Jury muss nach vorgegebenen Kriterien bewerten, das ist notwendig für die Existenz dieser Veranstaltung. In dem Punkt, dass die Kriterien ausbaufähig seien, stimme ich der Mehrheit teilweise zu. Die vier, de facto drei (weil der "Gesamteindruck" nicht wirklich ein Kriterium, sondern einfach nur die persönliche Rangliste, ohne irgendwelche Kriterien, ist) Kriterien, sind sehr wenige. Weitere könnte man ergänzen. Ich bin dafür, dass es einen kleinen Katalog an Kriterien gibt und jedes Kriterium seine festgesetzte Gewichtung hat. Ein Jurymitglied gibt den Beiträgen dann in jedem Kriterium eine Rangliste. Wer erfüllt das gefragte Kriterium am besten, wer am schlechtesten? Nach dem neuen Rechnungssystem, mit exponentiell ansteigenden Punktzahlen für die Platzierungen, und unter Berücksichtigung der Gewichtung der einzelnen Kriterien, soll die endgültige Rangliste jedes Jurymitgliedes dann ausgerechnet werden. Ein Jurymitglied gibt also für jedes Kriterium eine eigene Rangliste ab, aus denen dann die wertungsrelevante Rangliste des Jurymitgliedes ausgerechnet wird. Das Ganze werde ich auf Eurovision Passion, mit meiner eigenen, hypothetischen Jurywertung für 2019 auch noch veranschaulicht demonstrieren, allerdings anhand der jetzigen Kriterien.

Würde die endgültige Rangliste stumpf ausgerechnet werden, würden wir damit ein weiteres Problem der Jurys lösen. Seitdem die detaillierten Wertungen veröffentlicht werden, tendiert die Jury immer mehr dazu, die gleichen Länder und gleiche Machart der Songs, sowie Wettquoten-Favoriten, gut zu bewerten. Als Jurymitglied ist man sich bewusst, dass die Wertung veröffentlicht wird. Deshalb überlegt man sich, womit man gut aussieht. Es sieht immer gut aus Schweden auf Platz eins zu setzen. Damit wirkt man professionell. Es wird schon richtig sein diese große Musikindustrie gut zu bewerten, außerdem weiß man sicher, dass auch viele andere Jurymitglieder Schweden auf eine sehr hohe Platzierung setzen, man fällt nicht negativ auf. Wer aber Lettland, oder Moldawien an die Spitze setzt, muss mit unangenehmen Reaktionen rechnen. Des weiteren werden Songs von den Jurys stark bevorzugt, die englischsprachig und radiotauglich sind, kurzum Mainstream. Wer als Jurymitglied etwas sehr ausgefallenes besonders gut bewertet, wie in diesem Jahr Portugal, oder Island, der kann sich ebenso auf unangenehme Reaktionen einstellen. Mit einem englischsprachigen Radiosong fährt man auf einer sicheren Schiene. Außerdem ist es sehr auffällig, dass die Jurywertungen viel dichter an den Wettquoten liegen, als die Televoting Ergebnisse - und das obwohl beim Televoting doch viel mehr Menschen abstimmen. Das liegt daran, dass der Zuschauer einfach für den Beitrag anruft, den er persönlich gewinnen sehen möchte. Als Jurymitglied sieht man schlecht aus, wenn man einen Außenseiter ganz nach vorne und einen Favoriten ganz nach hinten setzt. Wer hat es in diesem Jahr schon gewagt die Niederlande unter den letzten drei Plätzen zu haben? Schließlich möchte man sich keinen Ärger einhandeln.

Eine Lösung wäre es also die Juryergebnisse nicht mehr detailliert zu veröffentlichen. Die gewonnene Transparenz seit der Veröffentlichung halte ich aber für einen sehr großen Fortschritt. Deshalb plädiere ich für das Gegenteil. Von jedem Jurymitglied die Bewertung zu jedem Kriterium veröffentlichen und mathematisch ermitteln, wie die endgültige Wertungsliste ist. Das wäre doch eine super gute Lösung. Für Jurymitglieder, die lange brauchen, um sich zu entscheiden, sollte das auch kein Problem sein, da sie ja im Prinzip fast einen ganzen Tag lang Zeit haben, um sich endgültig zu entscheiden und die Jurywertung abzugeben.

Zum Abschluss möchte ich noch den Denkanstoß geben, dass schärfere Regularien, bezüglich der Zusammensetzung der Jurys, sinnvoll wären. Bei einer zwanzigköpfigen Jury sollte für jeden "Spot" ein Alter festgelegt werden, sodass von Minderjährigen über 16 Jahren, bis Ü80, auch wirklich alles vertreten ist. Außerdem muss die musikalische Profession genau festgelegt werden. Wie viele Produzenten müssen in jeder Jury sein? Wie viele Komponisten, wie viele Tänzer? Wie viele Sänger? Wie viele Instrumente Spieler? u.s.w.. Nur so kann eine ausgeglichene und professionelle Jurywertung garantiert werden.

Die EBU hat sich übrigens zunächst geäußert, dass sie nichts an den Jurys ändern möchte. Dies ist aber wohl auf die Beschwerden des norwegischen Trios KEiiNO bezogen gewesen, das das Televoting gewonnen hatte, im Gesamtergebnis aber nur 6. geworden ist. Wir müssen weiter über Änderungen am Juryformat diskutieren und die EBU dazu bringen, das System auszubessern. Vielleicht sehen sie es, nach so vielen Fehlern in diesem Jahr, ein, dass es nicht optimal ist und sie vieles besser machen könnten. Lasst uns Dare to Dream.

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